Zur Ausstellung zum jüdischen Festkalender anlässlich „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“:

Immer wieder die Frage: Warum kann die Evangelische Kirchengemeinde Wattenscheid-Leithe Objekte nach dem jüdischen Festkalender zeigen?

Die Antwort führt zurück zu den ersten Jahren des Millenniums: Pfarrer Andreas Chaikowski war stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Gelsenkirchen. Pfarrerin Ute Riegas-Chaikowski berichtete in der wöchentlich stattfinden Frauenhilfe mehrfach von jüdischen Traditionen. Beide stellten immer wieder in den Andachten den Bezug her zu Jesus von Nazareth, der treu sein Jude-Sein lebte, jüdische Feste feierte: zu Pessach, Sukkot (Laubhüttenfest) und vermutlich auch zu Schawuot (Wochenfest) „hinaufzog nach Jerusalem.“

Der ausführliche und eindrückliche Katalog eines jüdischen Versandhauses mit Erklärungen, Darstellungen und Angeboten zum Festkalender ließ die Idee aufkommen: Wenn wir davon bestellen, werden die jüdischen Feste bei uns verständlicher, können sie in allen Gemeindegruppen und im Kirchlichen Unterricht gezeigt werden. Gleichzeitig können die Texte aus dem Tanakh (unserem AT) bekannt gemacht, erzählt und die Geschichte der Juden – auch Diskriminierung, Hass, Verfolgung – dargestellt werden.

Längst nicht alle Frauen der Frauenhilfe mochten dem Einkauf zustimmen. Es fanden sich aber mehrere Spenderinnen. Vieles wurde bestellt, aber keine Tefillin (Gebetsriemen). Ihr Preis überstieg das Budget. Mit ihnen könnte der Tagesablauf gläubiger Jüdinnen /Juden, Bar Mizwa, Bat Mizwa und der Ablauf manches Gottesdienstes verständlicher gezeigt werden.

Tefillin werden koscher hergestellt; d.h. die Lederstreifen und -kapseln werden kontrolliert von der Tierwahl über Gerbung und Farbe gearbeitet, eine Textauswahl aus der Tora fehlerfrei von Hand auf Pergament geschrieben.

Als 2012 der erste Tag von Pessach und Karfreitag auf den gleichen Tag fielen, veröffentlichte „Der 2. Brief an die Leither“ (Gemeindebrief) einen Bericht über ein Gespräch mit Frau Neuwald-Tasbach, der Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen, zu Pessach. Dazu Fotos vom gemeindlichen Geschirr zu veröffentlichen, scheiterte daran, dass niemand sich in der Lage sah, alle Zutaten, die symbolischen Speisen, für den Seder-Teller vorzubereiten: Bitterkräuter, wie z.B. Meerrettich, Salzwasser, Kräuter, auch das Ei waren relativ leicht zu besorgen. Aufwändiger wäre es, einen Knochen von Huhn oder Lamm zu braten. Vor allem traute sich keine von uns Frauen zu, ein Rezept für das Mus, Charosset, zu suchen. Hinzu kam eine zusätzliche Schwierigkeit, für die es bei uns keine Lösung gab: Alle Zutaten richtig auf das auf dem Seder-Teller dafür vorgesehene Schüsselchen zu legen. Und dann die Frage: Kommen wir an Mazzen – das ungesäuerte Brot, das zwingend zu Pessach gehört? Leichter war es, die Redakteurin des Gemeindebriefes zu bitten, im Internet nach geeigneten Abbildungen mit gefüllten Seder-Tellern zu suchen.

Der Seder-Teller.

Erstaunen rief vor allem bei den Frauen das Geschirr für den Schabbat hervor, weckte aber auch Erinnerungen: Zuhause gab es nur die eine Schüssel für den Sonntags-Pudding, die eine Kuchenplatte für das sonntägliche Kaffeetrinken. Manche Vorarbeit geschah selbstverständlich: das Fleisch anbraten, Gemüse vorbereiten, Kartoffeln schälen, Hof oder Bürgersteig fegen u.a. Doch fehlte, selbst am Sonntagmorgen, jede segnende Geste, jedes Feierliche – völlig verschieden zum Schabbat.

Mit dem Anzünden der, mindestens zwei, Kerzen begrüßt die Mutter das Erscheinen des ersten Abendsterns, den Beginn des Ruhetags, und spricht darüber den Segen.

Ebenso gibt es zum Abschied eine Zeremonie: Die Familie versammelt sich, es brennt die Hawdala-Kerze, der Hawdala-Becher wird gefüllt. Daraus trinken alle, nehmen den Geruch von wohlriechenden Kräutern aus der Besamimbüchse auf, damit der Abschied vom Schabbat leichter fällt. Nun wird im Restwein des Bechers die Kerze gelöscht. Hawdala heißt Trennung. Die Menschen trennen sich vom Ruhetag, die Arbeit kann wieder aufgenommen werden.

Zu Beginn des Schabbats besuchen Vater und Kinder, auch die Mutter, wenn sie es will, den Gottesdienst in der Synagoge. Danach beginnt das gemeinsame Mahl. Doch vorher segnen die Eltern mit Handauflegen die Kinder, der Vater singt das Loblied auf die Hausfrau. Anschließend hebt er den Kidduschbecher, spricht darüber den Weinsegen. Wenn alle daraus getrunken haben, nimmt der Vater die Schabbatbrote, spricht den Brotsegen, jede/r bekommt ein Stück Brot, bestreut mit Salz. Dann beginnt die Mahlzeit. Am nächsten Morgen, dem Schabbat, findet in der Synagoge der Gottesdienst statt. Der Tag wird in und mit der Familie verbracht.

Mit all den Zeremonien am Schabbat, zu denen je andere Geschirrteile gehören, wird im Judentum unterstrichen, welchen Stellenwert in ihrem Glauben, in ihrem Leben der Schabbat hat. Am Ende des Schöpfungsberichtes im 1. Buch Mose heißt es: „Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, denn an ihm ruhte Gott von all seinem Werk, das er durch sein Tun gemacht hat.“ Dazu schreibt ein Rabbiner: ,,Wer daher sechs Tage arbeitet und am siebten Tag die Arbeit einstellt, ahmt Gottes Wirken nach.“

Alle zum Ruhetag gehörenden Gegenstände machen auch uns diesen hohen Wert im Judentum deutlich.

Bericht: Ruth Rogalla

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