„… und es wurde Licht!“ – Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel

Lesung und Diskussion mit Igal Avidan am 26. Oktober 2025


Ein gut gefüllter Gemeindesaal in der Synagoge und gespannte Aufmerksamkeit – so präsentierte sich der Abend mit dem israelischen Journalisten und Buchautor Igal Avidan, der auf Einladung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gelsenkirchen zu Gast war. Unter dem Titel seines jüngsten Buchs „… und es wurde Licht! Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel (Berenberg Verlag, 2023) führte Avidan sein Publikum durch eine Vielzahl bewegender und überraschend hoffnungsvoller Geschichten aus einem Land, das sonst vor allem mit Konflikten, Gewalt und politischer Verhärtung in den Schlagzeilen steht.

Nach der Begrüßung durch den Geschäftsführer der Gemeinde, Herrn Igor Kuznecov, und einer kurzen Einführung durch Ulrich Fehling, den Vorsitzenden der Gesellschaft, übernahm Avidan selbst das Wort – ruhig, sachlich und eindringlich. Sein Vortrag war keine klassische Lesung, sondern eine reportageartige Erzählung, untermalt von Fotos aus Israel. Er sprach über Begegnungen, die er auf mehreren Reisen durch gemischt bewohnte Städte Israels gemacht hatte – Orte, an denen Juden und Araber, Muslime und Christen, nebeneinander leben: Akko, Haifa, Jaffa, Lod, Ramle und Jerusalem.

Dunkelheit und Licht

Ausgangspunkt seines Buches ist der Mai 2021 – Tage, in denen es in Israel zu innergesellschaftlichen Ausschreitungen kam, bei denen jüdische und arabische Bürger einander angriffen. Vier Tote, Hunderte Verletzte und massiver Sachschaden waren die Bilanz dieser Unruhen. Für Avidan war das der Moment, in dem er begann, nach den verbliebenen Lichtquellen im Dunkel der Gewalt zu suchen. „Wenn alles trostlos und hoffnungslos scheint, wird das kleine Licht umso wichtiger“, sagte er.

Diese Lichter fand er in Menschen, die sich inmitten von Hass und Spaltung anders verhielten: Familien, die nach tödlichen Anschlägen die Organe ihrer Angehörigen an Mitglieder der jeweils anderen Volksgruppe spendeten; Ärzte und Pfleger, die syrische Kriegsverletzte in israelischen Kliniken behandelten; Nachbarn, die trotz Angst und Misstrauen weiter miteinander redeten.

Orte der Begegnung

Avidan erzählte eindrucksvoll von seinen Stationen. Im Kibbuz Lochamei HaGeta’ot, dem „Kibbuz der Ghettokämpfer“, leitet heute eine arabische Frau das Zentrum für humanistische Bildung – ein einmaliger Ort, an dem jüdische und arabische Schulklassen gemeinsam an der Erinnerung an den Holocaust arbeiten. „Man kann keinen echten Dialog führen, wenn man den anderen zum Schweigen bringt“, zitierte Avidan die Direktorin.

In Akko berichtete er von einem arabischen Krankenpfleger, der während der Unruhen 2021 einem jüdischen Mann das Leben rettete – und später selbst bedroht wurde, weil er sich öffentlich für Menschlichkeit entschieden hatte. Beide Männer begegneten sich wieder im Krankenhaus, eine Szene, die Avidan als „Symbol für das, was möglich bleibt“, beschrieb.

In Haifa, oft als Musterstadt des Zusammenlebens bezeichnet, fand er Beispiele für friedliche Kooperation im Alltag: einen zweisprachigen Kindergarten, in dem jüdische und arabische Erzieherinnen gemeinsam unterrichten und Kinder in beiden Sprachen singen. „Wir sind nur ein Tropfen im Ozean“, sagte der Leiter dieser Einrichtung zu Avidan, „aber dieser Tropfen ist Gold wert.“

Auch Jaffa, heute Teil von Tel Aviv, bietet solche „Inseln der Normalität“. Avidan stellte ein arabisch-hebräisches Theater vor, in dem jüdische und arabische Schauspieler zusammen auftreten und ihre Geschichten verweben – historische wie aktuelle. Eine weitere Episode spielte in einem Frauenchor, in dem Sängerinnen beider Religionen gemeinsam auftreten. Während der Unruhen hielten sie mit Musik buchstäblich eine aufgebrachte Menge auf: „Die jungen Männer blieben stehen, hörten zu – und zogen weiter.“

Alltag als Widerstand

In Lod, nahe dem Flughafen Ben-Gurion, besuchte Avidan ein Stadtviertel, in dem Gewalt, Armut und Misstrauen dominieren – und dennoch Menschen gemeinsam etwas aufbauen. Ein jüdischer Freiwilliger und ein arabischer Elektriker sorgten dort dafür, dass in einem Wohnhaus nach Jahren wieder Licht brannte – ganz wörtlich. Solche kleinen Gesten seien, so Avidan, oft wichtiger als große politische Programme.

„Ich wollte nicht über Politik schreiben, sondern über Menschen“, betonte er mehrfach. Sein Buch porträtiert fünfzig Israelis – jüdische, arabische, muslimische und christliche –, die trotz aller Spannungen ihr Zusammenleben gestalten. Avidan nennt sie „die normalen Leute“, die in den Medien kaum vorkommen: Lehrer, Ärzte, Eltern, Künstler. Ihre Geschichten widersprechen dem Bild eines Landes, das in der öffentlichen Wahrnehmung nur aus Konflikt besteht.

Eine andere Erzählung Israels

Avidan kritisierte die mediale Fixierung auf Extreme. „Die Kameras zeigen die Schreie, aber nicht das Schweigen, das folgt – und schon gar nicht den Dialog, der am nächsten Tag wieder beginnt.“ Er plädierte dafür, genau diese stillen Formen des Miteinanders wahrzunehmen.

Seine Botschaft: Frieden ist keine große politische Entscheidung, sondern die Summe vieler kleiner Entscheidungen – der Entscheidung, sich nicht von Hass leiten zu lassen.

Am Ende des Vortrags zitierte Avidan zwei Sätze des legendären Gastronomen Uri Buri aus Akko, dessen Restaurant bei den Unruhen niedergebrannt wurde, der aber wieder aufbaute:

„Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Handvoll Idioten auf beiden Seiten unseren Alltag zerstört.“

Und: „Die Medien interessieren sich für Extremisten, aber nicht für normale Menschen.“

Diese beiden Sätze fassen das Anliegen des Abends zusammen.

Reaktionen und Nachklang

Das Publikum dankte Avidan mit langem Applaus. In der anschließenden Diskussion ging es um die Frage, ob diese hoffnungsvollen Geschichten auch übertragbar seien – etwa auf den europäischen Kontext.


Fazit:

Der Vortrag von Igal Avidan zeigte eindrucksvoll, dass trotz der Gewalt und Spaltung im Nahen Osten gelebtes Miteinander existiert – oft leise, aber beharrlich. Sein Buch ist eine Sammlung solcher Belege: keine romantische Vision, sondern dokumentierte Realität. Es wurde Licht – im übertragenen wie im wörtlichen Sinn.

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