
Auf dem Vorplatz der Neuen Synagoge in Gelsenkirchen wird am 8. Oktober 2025 klar geredet. Sechs Jahre nach Halle, zwei Jahre nach dem 7. Oktober. Fabian Schulz von der Initiative gegen Antisemitismus Gelsenkirchen moderiert, ruft auf, ordnet ein. Kein Ritual, sondern Ansage.

Slava Pasku, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, beginnt: Erinnern heißt handeln. Der Anschlag an Jom Kippur 2019 und die Massaker vom 7. Oktober 2023 haben das Sicherheitsgefühl zerstört. Sichtbar bleiben, Brücken bauen, nicht wegsehen – das ist ihr Maßstab. Bürgermeisterin Martina Rudowitz bestätigt den Anspruch der Stadt: klares Eintreten für jüdisches Leben. Sie erinnert an den Mob vor der Synagoge, an geschändete Mahnmale und macht den Punkt, den manche scheuen: Antisemitismus tarnt sich oft als Antizionismus. Menschenwürde ist nicht verhandelbar.

Ulrich Fehling von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gelsenkirchen zieht die Linien: rechter, islamistischer, linker und bürgerlicher Antisemitismus – verschieden in Ton, gleich in Wirkung. RIAS-Zahlen belegen den Anstieg. Hoffnung auf ein Geiselabkommen wird genannt, aber ohne Schönfärberei. Dann die verlesene Rede aus Halle von Max Privorozki: ein Schlaglicht auf Gerüchte, Social-Media-Dynamiken und staatliche Zögerlichkeit. Antisemitismus wechselt Kostüme – religiös, rassistisch, israelbezogen –, das Muster bleibt: Juden werden zu Sündenböcken. Fazit: Worte reichen nicht, es braucht Konsequenz.

Schulz zeichnet den Anschlag von Halle nüchtern nach: Sprengsatz, Schüsse, die massive Tür verhindert das geplante Massaker. Jana Lange wird erschossen, Kevin Schwarze im Dönerimbiss ermordet. Der Täter streamt, verherrlicht Vorbilder, wird 2020 verurteilt. Dann der 7. Oktober 2023: Raketen, Überfälle, Morde, Entführungen, sexualisierte Gewalt. Der schwerste antisemitische Angriff seit der Shoah. Und statt einer Welle der Solidarität rollt weltweit eine Welle des Judenhasses – auch in der eigenen Stadt: Schmierereien, Parolen, Angriffe, Verharmlosungen, Hetze in sozialen Medien. Schulz’ Kernforderung: Schluss mit bloßen Gesten. Antisemitismus überall benennen, stoppen, sanktionieren. Kritik am Krieg ist legitim, aber kein Freifahrtschein für Judenhass.

Jörg Rensmann von RIAS NRW sortiert die Politik: Antisemitismus verbindet Milieus, die Hamas ist eine islamistische Terrororganisation. Schutzlücken im Strafrecht schließen, offene Angriffe auf Israels Existenz unter Strafe stellen. Bildungsarbeit an Schulen und gegenüber Eltern ausbauen. Entwicklungshilfe strikt konditionieren, keine Finanzierung antisemitischer Inhalte. Ein deutsch-israelisches Jugendwerk aufbauen, Begegnungen stärken. Klare To-do-Liste, keine Floskeln.

Dann spricht Gloria Tenenbaum vom Jugendzentrum Chesed. Sie liefert die harte Realität: versteckte Davidsterne, Rückzug von Unis, Social-Media-Hass – und trotzdem Zusammenhalt. Ja, Mitgefühl mit Zivilisten in Gaza. Aber Ursache und Wirkung dürfen nicht verdreht werden, die Hamas missbraucht Schutzschilde. Hoffnung schimmert durch: der Hinweis auf einen bestätigten Friedensvertrag, die Erwartung baldiger Freilassungen. Ihre Schlusslinie bleibt hängen: Das Leben selbst ist die stärkste Antwort.

Die Veranstaltung endet mit Gebet und Schweigeminute. Zurück bleibt ein klares Bild: Gedenken ohne Handeln ist leere Hülse. Drei Ebenen sind nötig – Alltag, Recht, Bildung. Im Alltag: widersprechen, wenn Parolen fallen, dokumentieren, melden, Betroffene nicht allein lassen. Im Recht: konsequent durchgreifen und Schutzlücken schließen. In der Bildung: faktenbasiert unterrichten, Legenden abschälen, Austausch organisieren. Keine Ausreden mehr.
Dieser Abend bringt es auf den Punkt: Antisemitismus ist nicht „woanders“, er ist hier. Er wechselt nur die Maske. Wer ihn verharmlost, macht sich mitschuldig. Wer Haltung zeigt, macht einen Unterschied. Gelsenkirchen hat beides gesehen – den Hass und die Gegenwehr. Die Botschaft der Redner ist eindeutig: sichtbar bleiben, klar sprechen, handeln. Nicht nächstes Jahr. Jetzt.
